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Die nur sechs Jahrzehnte währende Herrschaft des Königshauses Aragón über Neapel im 15. Jahrhundert bildet den geschichtlichen Hintergrund des Repertoires dieser CD. Für die genannte Epoche steht in kultureller Hinsicht vor allem König Alfons V., der bis zu seinem Tod im Jahre 1458 für eine weltoffene Entfaltung der Künste in seinem Reich sorgte. Seine Aufgeschlossenheit gegenüber den unterschiedlichsten nationalen Einflüssen klingt in seinem Beinamen „El Magnànim“ (Der Großmütige) an, und sie spiegelt sich auch wieder in der bunten Vielfalt des „Cancionero de Montecassino“, einer umfangreichen Handschrift, die auf Grund des in ihr enthaltenen Repertoires in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden sein muss.
Geistliche und weltliche Musik halten sich in diesem Manuskript in etwa die Wage. Die weltlichen Stücke überraschen durch die zahlreichen Sprachen und Dialekte, und auch die geistliche Musik ist von großer stilistischer Vielfalt. Jordi Savall und sein Ensemble präsentieren auf zwei CDs eine Auswahl aus dieser hochinteressanten Sammlung. Die Box ist in der gewohnt aufwändigen Weise ausgestattet. Eine ausführliche Einleitung hilft bei der Einordnung des Gehörten, und der mitunter sechssprachige Textteil erleichtert das Erfassen der einzelnen Nummern von der Sprache her.
Die Musik der fraglichen Zeit wirft natürlich bezüglich ihrer Ausführung noch weit mehr Fragen auf als etwa das barocke Repertoire, und entsprechend unterschiedliche Praktiken und Versionen sind im heutigen Konzertleben beziehungsweise auf dem CD-Markt vertreten. Jordi Savall setzt einmal mehr auf Abwechslungsreichtum und Fantasie, wobei er sich besonders im geistlichen Bereich manchmal weit auf rein spekulatives Gebiet vorwagt: Er begnügt sich nicht mit einer aus Sängern und Instrumenten gemischten Besetzung, die als solche vollkommen im Bereich des Möglichen liegt, sondern stellt manchen Stücken auch Fantasie-artige Einleitungen voran; bisweilen lässt er Cantus firmi in Oktaven ausführen, was das Klangbild sehr verändert, oder erzeugt durch zeilenweise liegen bleibende Schlusstöne Bordun-Effekte. Ferner fällt der häufige Einsatz nicht sehr resonanzstarker gezupfter Saiteninstrumente als Ergänzung der Gesangsstimmen auf, und fast ein wenig kurios ist die Unterlegung des Hymnus „Cum autem venissem“ mit Trommeln. All diese aus den Noten nicht ableitbaren Effekte fördern einen geheimnisvoll-mystischen Tonfall, der wohl als Markenzeichen Savalls zu betrachten ist.
Den Rezensenten überzeugt aus diesem Grund der weltliche Teil des Albums mehr, da hier Spiel- und Experimentierfreude sowie besetzungtechnische Vielfalt besser am Platz zu sein scheinen. Alles in allem ist die CD jedoch ohne Zweifel ein musikalisches Feuerwerk erster Güte, dass Freude an der Musik der beginnenden Neuzeit zu wecken vermag und in dieser Hinsicht den Aufnahmen-Katalog wertvoll bereichert. –Michael Wersin